Über das Modellprojekt FAIRSTAGE

Aktuelle Vorwürfe über Machtmissbrauch und rassistische Vorfälle, aber auch die Debatten um Ausfallhonorare oder Nicht-Verlängerungen in der Corona-Zeit boten in der jüngsten Vergangenheit immer wieder Anlass zu interner wie öffentlicher Kritik am deutschen Theaterbetrieb. Dabei mangelt es keineswegs an Veränderungsvorschlägen und Initiativen.

In der Kulturstadt Berlin besteht durch die große Zahl sehr unterschiedlich organisierter Bühnen ein hohes Erfahrungswissen zu Organisationsformen und Arbeitsmodellen. Zahlreiche Künstler*innen und Backstage-Arbeiter*innen interessieren sich für strukturelle Fragen und engagieren sich für Veränderung. Darüber hinaus leisten die kulturpolitischen Verbände und Zusammenschlüsse bereits bemerkenswerte Arbeit, was die Ausarbeitung von Strukturanalysen des Theater- betriebs wie auch Maßnahmen zu seiner Verbesserung betrifft. Somit liegt eine Bandbreite an diversen Positions- und Forderungspapieren sowie innerbetrieblichem Know-How für eine diskriminierungskritische Arbeitspraxis vor.

Zur Umsetzung dieser Vorschläge und Forderungen bedarf es nun der Adressierung konkreter Zuständigkeitsebenen sowie eines möglichst breiten Prozesses der Konsensfindung mit allen Beteiligten.

Das Berliner Modellprojekt FAIRSTAGE setzt hier an, um die bestehenden Überlegungen effektiv und nachhaltig aufzugreifen und eine Umsetzung in der spezifischen Berliner Situation zu ermöglichen. In der ersten Projektphase im Sommer 2021 arbeiteten erstmalig institutionell geförderte Bühnen, konzeptgeförderte Ankerinstitutionen der freien Szene sowie Vertreter*innen von Verbänden, Initiativen und zivilgesellschaftlichen Zusammenschlüssen in einem Beteiligungsverfahren zusammen an der Erstellung eines Maßnahmenkatalogs, der Handlungsempfehlungen klar an die unterschiedlichen Zuständigkeitsbereiche adressiert.

Die Ausarbeitung des Maßnahmenkatalogs basiert auf Publikationen und Positionspapieren aller beteiligten Strukturen sowie auf gezielten Expert*innen-Interviews. Welche Problemstellen wurden von den Akteur*innen bereits identifiziert und welche Lösungsvorschläge wurden dafür entwickelt? Gibt es Interessen, die sich überschneiden, und wo bestehen Widersprüche?

Um präzise wirken zu können, ist das Projekt zunächst ausschließlich auf institutionell geförderte Strukturen im Bereich Sprechtheater ausgerichtet. Erkenntnisse aus dem Prozess sollen jedoch so ausgewertet werden, dass sie zeitnah als Grundlage für Überlegungen in anderen Bereichen, Sparten und Förderformen genutzt werden können.

Zum Abschluss der ersten Projektphase fand im Februar 2022 unter dem Titel „Late to the Game?!“ die erste Fachkonferenz des Modellprojekts FAIRSTAGE statt. Knapp 130 Teilnehmer*innen verfolgten live über Zoom Panels und Impulse zu konkreten Beispielen von Maßnahmen aus der Praxis, deren Übertragung auf institutionell geförderte Bühnen in Berlin möglich ist.

Ausblick - Fortsetzung des Modellprojekts ab Sommer 2022

Für die zukünftige Arbeit von FAIRSTAGE ist ein systematischer Ansatz auf mehreren Handlungsebenen vorgesehen. So bedarf es dringend einer zugänglichen Datenübersicht der aktuellen Situation an den Berliner Bühnen, die sich intersektional auch mit den verschiedenen Diskriminierungsformen und -fällen auseinandersetzt. Bestehende Studien, Berichte, Good-Practice-Beispiele etc. werden zusammengeführt und auf FAIRSTAGE-Konferenzen und Beteiligungsforen einsehbar gemacht, die als Vernetzungsformate zugleich Raum für Austausch zwischen den Akteur*innen bieten. Zudem werden spezifische Weiterbildungs-, Qualifizierungs- und Austauschangebote zu Themen wie der Verbesserung des eigenen Arbeitsumfelds oder Weiterentwicklung der Betriebsstrukturen gemeinsam mit Empowerment-Strategien zur Stärkung von marginalisierten Künstler*innen und Akteur*innen gedacht und umgesetzt.

Das Modellprojekt FAIRSTAGE wird auch weiterhin Koordinations- und Schnittstelle sein, zwischen Ratsuchenden und den beratenden Organisationen und Expert*innen; zwischen den Betroffenen und den Beratungsstellen und Hilfsangeboten; zwischen den Bedarfen der Praxis und den politischen Prozessen; und zwischen den Theatern selbst.

Über FAIRSTAGE als PDF: